• Ihr wolltet Bilder? Hier habt ihr sie

    Politische Kunst aus dem Herzen des Nahostkonflikts: Zu sehen auf der zweiten Ausgabe der palästinensischen Kunstbiennale „Qalandiya International“




    Während in Jerusalem eine dritte Intifada zu beginnen scheint, kehrt in Ramallah die erste als Happening wieder: Eine „Mapping Procession“ stellt Szenen des Volksaufstandes nach, als kuratierte Re-inszenierung von Flugblattverteilen und vermummtem Protestieren. Es ist eine der Interventionen der Kunstbiennale „Qalandiya International“, die zwischen 22. Oktober und 15. November zum zweiten Mal stattfindet.

    Sogleich offenbart sich die Zweischneidigkeit der Kunst, die politisch sein will: Das Intifada-Reenactment, kuratiert von Rula Khoury, ist nicht nostalgisch, sondern kritisch gemeint, an der Blase Ramallahs, wo unter der zahnlosen Autonomiebehörde der politische Aktivismus dem Häuslebauen und Konsumismus der neuen palästinensischen Mittelklasse gewichen ist. Kritik auch daran, dass eben diese Mittelklasse sich nun statt mit Politik mit... ja, auch mit Kunst vergnügt.

    Dabei leuchtet unmittelbar ein: Kunst kann hier nicht anders als politisch sein, weil alles hier politisch ist, die Checkpoints, die Trennmauer, die israelische Besatzung, der Krieg in Gaza, die Intifada oder eben ihre Abwesenheit. Allein welche Formen, welche Qualität eben diese politische Kunst hier annehmen kann, ist offen. So viel sei vorneweg gesagt: Phrasendrescherei, platte Polit-Rhetorik ist (fast) nicht dabei.

    Die „Qalandiya International“ zeigt Arbeiten von mehr als 100 KünstlerInnen in einem Dutzend Ausstellungen von Ramallah bis Jerusalem, Bir Zeit, Haifa und Gaza. Es ist eine Graswurzelbiennale, kein Prestigeprojekt, sondern eine Bündelung der Kräfte von mittlerweile dreizehn palästinensischen Kulturstiftungen, Galerien, Kunstvereine und Museen.

    Am raffiniertesten löst die Aufgabe vielleicht die palästinensisch-jordanische Künstlerin Ala Younis mit ihrem „Museum of Manufactured Response to Absence“, oder MoMRtA, das die Abwesenheit hunderttausender Palästinenser in Kuwait ironisch-elegisch thematisiert. Nachdem Yasser Arafat Saddam Husseins Invasion Kuwaits öffentlich unterstützt hatte, wurden die meisten der 400.000 in Kuwait lebenden Palästinenser entweder vertrieben oder flüchteten aus eigenen Stücken. Die von Younis kuratierten Artefakte greifen die Unmöglichkeit ihrer Zugehörigkeit jetzt noch einmal auf, sei es als kunstvoll bestickte kuwaitische Landestracht, deren Kopfloch viel zu klein geraten ist, als dass jemand sie tragen könnte, als edel gegossener Seifenblock mit dem Aufdruck „Vergissmeinnicht“, welcher beim Waschen gleich als erster verschwinden wird, oder als prächtig goldenes Halsband mit den Lettern „Kuwait ist unser, und wir gehören Kuwait“, das um keinen Hals passen will.

    Am unmittelbarsten politisch hingegen sind vielleicht die in der Jerusalemer al-Hoash Gallery gezeigten Arbeiten von drei Künstlern aus Gaza sowie des Fotografen Eduardo Soteros, der sich während der jüngsten Kämpfe in Gaza aufhielt. Es war ein Wagnis der künstlerischen Leiterin Alia Rayyan, die nur drei Monate vor Beginn der Biennale unter dem Eindruck des Krieges in Gaza den bereits engagierten Kurator wieder ausgeladen, und ein neues, vollständig Gaza gewidmetes Programm zusammenstellt hat.

    Die Wette ist aufgegangen, die gezeigten Arbeiten vermeiden sowohl Rhetorik als auch Betroffenheitskunst. Vielmehr bieten sie vier ganz verschiedene Zugänge an, wie mit Kunst auf den Krieg geantwortet werden kann. Die schwarzen und schweren Fotografien von Eduardo Soteros etwa legen Zeugnis ab von der Zerstörung, wie sie sich in den Gesichtern der Menschen spiegelt, an denen eine ganze Geschichte der Verwüstung sich ablesen lässt.

    Gegen die immer gleichen Bilder aus Gaza lässt Mohamed Harb eine Gegenflut los, ein großflächiges Panorama aus tausend kleinformatigen Schnappschüssen, in dem der Betrachter sich verliert: So haben wir Gaza noch nie gesehen, diese Schaufensterpuppe, jenes Kind, diese Palmen und jener Schatten, jener Zaun. Ihr wolltet Bilder, hier habt ihr sie, und seht, wie ihr Gaza nicht fassen könnt.

    Mohammed al-Hawajri hingegen findet bereits bunte Farben in dem Einheitsgrau der Trümmer, der Häuserruinen, dem Staub und Schutt, welche der letzte Krieg hinterlassen hat. Dazwischen, daneben, blitzt der Überlebenswillen in bunten, poppigen Farben auf, hier ein geretteter Teppich, da eine grelle Puppe, als Farbflecken des Neubeginns. Ja, man trinkt zwischen den Trümmer Tee, man sucht, was dem Überleben dienen mag.

    Und völlig ironisch schließlich das „A Metro in Gaza“ Projekt von Mohamed Abusal, das er im Lichte des Krieges fortgeführt hat. Die Tunnel, die ja den Ausgangspunkt für seine metaphorische U-Bahn in Gaza bildeten, haben im letzen Sommer als „Terrortunnels“ eine neue Schicht von sinistren Konnotationen dazugewonnen. Der Betrachter muss lauthals loslachen, da die Tunnels nun Metroeingänge, Sperrschranken bekommen haben, so absurd ist die Vorstellung von Normalität in Gaza.

    Am Ende nährt sich ein Gedanke: Sollte nicht, da die Kunst derart produktiv politisch geworden ist, nun die Politik zur Kunst werden? Aber ist nicht schon das ganze Staatsprojekt Palästinas - dazu verurteilt, völlig virtuell zu bleiben - am Ende Kunst? Es fügt sich, dass die nächste, dritte Ausgabe der „Qalandiya International“ und das vom palästinensischen Präsidenten Abbas anvisierte Datum für einen vollständigen Rückzug Israels aus dem Westjordanland beide auf den Herbst 2016 fallen: Intifada als Kunst, Kunst als Unabhängigkeitserklärung.